Schöne neue Welt: Digitale Bildung

Mit der freundlichen Genehmigung von Wolfgang Fink aus dem KV Ammerland!

 

Schöne neue Welt: Digitale Bildung

Wohl kaum jemand entsinnt sich noch im Einzelnen der vielen
Schulreformen, die seit den Siebzigerjahren bekanntlich zu stetiger
Verbesserung des Bildungs- und Schulsystems geführt haben. Wir
sind also von Erfolg zu Erfolg geeilt. Kann man da überhaupt noch
etwas verbessern? Aber ja, durch eine wirklich umwälzende Neuerung!
Nicht nur die unlängst tausendfach im Land aufgehängten
Wahlwerbeplakate und die fast alltäglich in die Mikrofone geredeten
Politikerworte hämmern es uns Bürgern ein: Digitalisierung, in
allen Bereichen, ist ein Muss. Unterstützt von vielen Medien und
„unabhängigen“ Wissenschaftlern wird ein düsteres Bild gezeichnet:
Eltern, eure Kinder werden im Bildungsgang und im Beruf
chancenlos sein, wenn sie nicht schon in der Grundschule am Computer
zu programmieren lernen.
Hier ist doch wohl Skepsis angebracht, vor allem weil als Urheber
hinter solchen Aussagen die bekannten weltweit tätigen ITKonzerne
eindeutig auszumachen sind. Kritische Stimmen gibt es
zahlreich von Kinderärzten, Pädagogen, Lernpsychologen und Neurowissenschaftlern.
Sie finden in der (Medien-) Öffentlichkeit allerdings
kaum Widerhall.
Um was geht es? Nicht gemeint ist die schon heute vielfach von
Lehrern genutzte Möglichkeit, digitale Medien und Software als
Hilfsmittel im Unterricht einzusetzen. Nicht gemeint ist auch, dass
Schüler ab der Oberstufe lernen, ihre Texte, Auswertungen, Statistikberechnungen
usw. mit den allgemein verbreiteten Programmen
an PCs zu bearbeiten.
Mit Digitalisierung ist gemeint, dass zukünftig Erziehung und Bildung
durch Computer und Algorithmen autonom, also von außen,
gesteuert werden. Damit wird schon ab dem Kindesalter von jedem
Menschen fortlaufend eine unvorstellbare Menge miteinander verknüpfbarer Daten gesammelt.

Nur so sei vollständig individualisiertes
Lernen mit bestmöglicher Förderung des Einzelnen zu erreichen.
Damit sei der Nutzen für Schüler und deren besorgte Eltern sowie
für die Gesellschaft insgesamt unzweifelhaft, werben die Großen
der IT-Branche; mit dabei ist beispielsweise die Firma Bertelsmann,
die auch zu den großen Datensammlern und -händlern zählt.
Kann belegt werden, dass digitale Medien, verglichen mit „analogem
Unterricht“, zu besserem Lernerfolg führen? Eine große aktuelle
OECD-Studie antwortet hierauf eindeutig: Nein. Eher ist Negatives
zu beobachten. Schüler, die sehr häufig bis überwiegend in der
Schule mit digitalen Medien lernen, zeigen oft erheblich schlechtere
Lernergebnisse. Nicht einmal in den anscheinend für das Digitallernen
prädestinierten Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften
gibt es nennenswerte Leistungsverbesserungen. Besonders
enttäuschend aus Sicht der beteiligten Pädagogen ist jedoch,
dass derartiger Einsatz von Technologie ein Mitnehmen der
im jeweiligen Bereich Leistungsschwächeren durch die hierin Leistungsstärkeren
praktisch verhindert. Australische Untersuchen ergeben,
dass Technologie in den Schulen mehr schadet als nützt. Die
Auswertung der OECD-Studie ergibt außerdem, dass erhöhte Risiken
für verzögerte Sprach- und Motorikentwicklung, für Übergewicht,
für Schlafstörungen, für Empathieverlust, für Vereinsamung
und für Schulversagen bestehen. In etlichen Ländern (Australien,
Südkorea, Thailand, USA, Türkei) wird nach dem „DigitalUnterrichts-Trip“
bereits kräftig zurückgerudert. Aber davon können
(oder sollen?) unsere plakat-aktiven Bildungspolitik-Experten ja
noch gar nichts wissen. Man fühlt sich an die alte Weisheit erinnert:
Fehler, auch wenn die anderswo schon als solche erkannt wurden,
wollen wir doch lieber selbst machen. Da sind wir ganz eigen!
Wohin geht die Reise? Als gar nicht mehr so ferne Vision taucht die „lehrerlose Schule“ auf.

Eine Zeitungsnotiz berichtete kürzlich, einige Politiker eines USBundesstaates
beabsichtigten, ab dem Jahr 2030 keine Lehrkräfte
für allgemeinbildende Schulen mehr einzustellen. Kinder solle es
aber weiterhin geben. Auch bei uns wurde schon mal überlegt, man
könnte doch die (Digital-) Lerngruppengröße dann auf etwa sechzig
Schüler pro Lehrkraft anheben, wenn es denn überhaupt noch eine
ausgebildete Lehrkraft sein müsse.
Fazit: Es geht auch hier um Geld, um sehr viel Geld. Digitalisierung
der Bildung soll viel weniger Lehrpersonal erfordern und dadurch
erheblich geringere Personalkosten verursachen. Die IT-Branche
möchte sich mit ihren Dienstleistungen genau dieses Geld verdienen.
Und mit der Fülle von erfassten Informationen möchte sie
schon über die Kinder und späteren Erwachsenen möglichst frühzeitig
Einfluss und Daten gewinnen. Das Bild vom Trojanischen
Pferd dürfte hier nicht ganz falsch sein.
Was brauchen wir wirklich? Viele internationale Studien und Artikel
fassen es so zusammen: Nötig sind qualifizierte, empathische Lehrkräfte
in angemessener Zahl, gut strukturierter Unterricht und (erstaunlich?)
traditionelle Unterrichtsmethoden.
Übrigens: Viele Bildungsforscher charakterisieren die digitale Bildung
als Frontalunterricht, bei dem eben der „Pauker“ durch einen
von Algorithmen gesteuerten sprechenden Bildschirm ersetzt ist.
Schöne neue Welt!

Bildquellen

  • board-2528399_1280: www.pixabay.com

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