Interview mit Sonja Weiß (Fachpraxislehrkraft)

Hier das ungekürzte Interview mit Sonja Weiß, die  seit Jahren in unserem KV-Vorstandsteam mitarbeitet und sich auf Bezirks- und Landesebene engagiert für die Belange der Fachpraxislehrkräfte an den Berufsbildenden Schulen einsetzt (ein lesenswerter Beitrag!). Das Interview ist in der April Ausgabe des GEW „kurzgefasst“ erschienen.

 

Sonja, du bist Lehrkraft für Fachpraxis (LfFp) an einer BBS. Was bedeutet eigentlich Fachpraxis?

Der Begriff Fachpraxis sagt es bereits:

In einem bestimmten berufsfachlichen Bereich, in meinem Fall Farbtechnik & Raumgestaltung, werden Schülerinnen und Schüler (SuS) fachtheoretisch und fachpraktisch unterwiesen. Für mich als Lehrkraft besteht die Aufgabe,  handlungs- und projektorientierte Lernsituationen zu schaffen und mit den SuS nach theoretischer Erarbeitung praktisch umzusetzen.

Dazu setze ich entsprechende Medien, Materialien, Werkzeuge und Maschinen ein, wie sie auch in den Betrieben verwendet werden.

Diese Lernsituationen fordern und fördern die SuS. Neben der Vermittlung berufsfachlicher Kompetenzen liegt ein Schwerpunkt auf der Schulung von Personal-, Sozial- und Methodenkompetenzen.

Lehrkräfte für Fachpraxis arbeiten mit den SuS auf bestimmte Ziele hin:

  • Die SuS der Berufseinstiegs- und Kooperationsklassen erhalten eine individuelle berufliche Orientierung und werden auf die Berufswelt, in der Regel auf die duale Ausbildung, vorbereitet. Dazu gehört das Erlernen personaler Grundkompetenzen, ohne die das Zurechtkommen in der Berufswelt nicht möglich ist.
  • In den Berufsfachschulen erlernen die SuS die berufspraktischen fachlichen Kompetenzen, die dem ersten Ausbildungsjahr der dualen Ausbildung entsprechen.
  • In Fachoberschulen und beruflichen Gymnasien übernehmen die LfFp sogenannten Demonstrationsunterricht. Das heißt, die LfFp erarbeiten mit SuS die praktischen Lösungsansätze, die den fachtheoretischen Unterricht vervollständigen.

Welche Klassen unterrichtest du?

Ich bin in den Berufseinstiegsklassen und in den Berufsvorbereitungsklassen eingesetzt. Mein Unterricht findet auch in  SPRINT- und SKL-Klassen (Sprache/Integrations- und Sprachlernklassen) statt, in denen ich „sprachsensiblen“ Fachpraxisunterricht erteile.

Außerdem unterrichte ich in der Berufsorientierung, vermittele den Förder-, Haupt-, und Realschülerinnen und -schülern erste Einblicke in die Berufswelt und in die verschiedenen Fachbereiche.

Weil die Schülerschaft sehr heterogen zusammengesetzt ist, fordert die Arbeit von mir besonders hohe pädagogische und soziale Kompetenz sowie großes Engagement.

Wie wird man Fachpraxislehrkraft?

Ich persönlich bin Schilder- und Lichtreklameherstellermeisterin und staatlich geprüfte Gestaltungstechnikerin der Fachrichtung Objektdesign. Das bedeutet, dass ich den höchsten beruflichen Bildungsabschluss besitze.

Nach Abschluss der o.g.  Ausbildungen habe ich zwei weitere Jahre in der freien Wirtschaft gearbeitet, bis ich an einer BBS als LfFp angestellt wurde. Fest angestellt, bin ich in dem AnwärterInnenseminar berufsbegleitend weitere 1,5 Jahre pädagogisch, didaktisch und methodisch ausgebildet worden.

Genau wie ich haben viele meiner Kolleginnen und Kollegen  jahrelang in der freien Wirtschaft in leitenden Funktionen gearbeitet oder waren selbstständig. Die auch durch diese Tätigkeiten erworbenen fachlichen, sozialen und personellen Kompetenzen sind Grundlage für die Ausübung unseres Berufes an der Schule.

Weitere Angaben findet man auf der Seite des Kultusministeriums.

Fachpraxislehrkräfte haben eine Unterrichtsverpflichtung von  27,5 Stunden und werden nach A9 besoldet.

Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen, mit denen sich Fachpraxislehrkräfte auseinandersetzen müssen?

Im fachpraktischen Unterricht haben wir LfFp neben der unterrichtlichen Aufgabe ständig die Arbeitssicherheit zu gewährleisten und zu überwachen. Wir sind für Maschinen, Werkzeuge und Geräte verantwortlich und haben den SuS sicheres Arbeiten zu ermöglichen. Von Fall zu Fall müssen die LfFp ihr Schülerklientel einschätzen und, bezogen auf die jeweilige Gruppe, entscheiden, wie der berufsorientierende Unterricht gefahrenlos ablaufen kann, ohne den SuS einen angemessenen Einblick in die Arbeitspraxis zu verwehren.

Besonders bezüglich der Arbeit in Kooperationsklassen ist dies oft heikel. Denn meistens werden weder die Gruppengrößen den Werkstattgegebenheiten angepasst, noch kennen die LfFp  individuelle Eigenarten oder besondere Verhaltensweisen der SuS.

Infolge der Inklusion hat sich dieses Problem noch erheblich ausgeweitet, vor allem wenn seitens der (die SuS entsendenden) allgemeinbildenden Schulen keine Begleitung der Gruppe erfolgt. Es ist kaum möglich, bei diesen Bedingungen qualitativ hochwertigen und gefahrensicheren Unterricht zu gewährleisten.

 

Häufig hat unser Schülerklientel die allgemeinbildende Schule gar nicht oder ohne Hauptschulabschluss durchlaufen. Diese Schülerschaft ist insofern eine ganz spezielle und für die LfFp ganz besonders herausfordernd (eben nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“).

 

Was wünscht du dir als Fachpraxislehrkraft? Was müsste sich aus deiner Sicht an den Bedingungen für Fachpraxislehrkräfte ändern?

 

Wir LfFp verfügen über außerordentlich viele Kenntnisse und Fähigkeiten, die von den Schulen a) erwartet und b) auch gerne genutzt werden. Anerkannt im Sinne von angemessener Vergütung und von Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Systems werden sie allerdings nicht.

Schulterklopfende Anerkennung ist zwar sicherlich gut gemeint, reicht aber eben nicht.

 

Sonja Weiß

Arbeitsgruppe Fachpraxislehrkräfte

Für weitere Infos von der AG Fachpraxislehrkräfte:

E-Mail: fachpraxis@gewweserems.de

Homepage: http://gewweserems.de/category/fachgruppe/fg-fachpraxis/

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